Ist Body Positivity das Allheilmittel gegen Intoleranz, Selbstzweifel und dem Bodyshaming? Ich glaube, nicht. Eine Anti-Haltung ist oft genauso falsch, wie die Zustände, gegen die sie sich richtet, weil sie genauso extrem ist! Aber fangen wir von vorne an.
Unsere Unsicherheit und der Wunsch,
anerkannt und akzeptiert
zu werden, werden gnadenlos
in Kaufkraft umgewandelt.
Mode und wir
Die Modeindustrie verspricht: mit diesem neuen Outfit bist du endlich genau so schön und cool, wie du schon immer sein wolltest! Mit ihrer zwanghaften Normierung der verschiedenen Menschentypen (ich sage nur - Konfektionsgrößen! Modelmaße!) erreicht sie aber eher das Gegenteil - man vergleicht sich mit anderen und fängt an, sich selbst in Frage zu stellen, wenn man von dieser Norm abweicht.
Mit dieser Verunsicherung hält uns die Modeindustrie in Schach und lässt und zwischen Shopping-Euphorie und Selbstzweifeln hin-und-herschwanken, und zwar ungefähr in dem Takt, in dem neue Kollektionen in die Läden kommen - also ziemlich oft!
Ich glaube, der Mechanismus ist mit Drogenkonsum vergleichbar. Denn kurzzeitig kann Kleidung schon den Eindruck erwecken, dass sie einem Stärke und Selbstbewusstsein schenkt - aber eben nur kurzzeitig. Schon bald hat man das Gefühl, dass man gerade mit dem neuen und noch neueren Kleidungsstück oder Outfit seinem (Schönheits-)Ideal am nächsten kommt.
Kennt ihr das nicht? Man hat das neue Kleid an und geht shoppen. Plötzlich sieht man ein anderes Kleid, probiert es an und das alte Kleid kommt einem plötzlich gar nicht mehr so cool vor...
Würde sich jeder dauerhaft total wohlfühlen, wäre ja gar keine Diskrepanz zum Ideal mehr vorhanden und man wäre für den ständigen Konsum weitaus weniger anfällig. Gemässigter Konsum widerspricht aber dem momentanen Zustand der Modeindustrie, die immer mehr Gewinn erzielen will und dabei nicht nur unser Selbstwertgefühl, sondern auch unsere Umwelt-Ressourcen verpulvert.
Unsere Unsicherheit und der Wunsch, anerkannt und akzeptiert zu werden, werden gnadenlos in Kaufkraft umgewandelt.
Ist Body Positivity etwa der Ausweg aus dieser verzwickten Situation?
Was ist das Gute an Body Positivity? Ich finde, nur die Idee. Denn Body Positivity ist als eine Gegenreaktion auf Body Shaming entstanden - und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass beide einen Menschen auf seinen Körper reduzieren. Kaum einer kommt noch mit dem Spruch daher "Die inneren Werte zählen" - sondern, "Alle Körper, ob dick, dünn, hell oder dunkel, sind schön". Was zwar schön nach einer heilen Welt klingt, aber doch eher eine zweifelhafte Aussage ist, denn Schönheit liegt immer noch im Auge des Betrachters.
Sollte es nicht eher um den Umgang miteinander und mit sich selbst gehen? Statt alle schön zu finden, ist es nicht ausreichend, allen Menschen respektvoll gegenüberzutreten und nicht zu vorschnell über sie zu urteilen? Sie nicht nur auf ihr Aussehen zu reduzieren, sondern zu hoffen, dass sie gute Mitmenschen und tolle Gesprächspartner sind? Dass man von ihnen was lernen kann oder auch ihnen helfen? Mit ihnen einfach erstmal in einen zwischenmenschlichen Kontakt zu treten, bevor dass ihr Äußeres uns davon abhält?
Wie oft hatte ich die Erfahrung, dass eine Frau, die allen gängigen Schönheitsidealen entspricht, eine falsche, egoistische Schlange ist, die beim ersten Anzeichen von Eigenvorteil sofort alle Freunde verraten würde? Oder ein Typ mit hübschem Gesicht und Sixpack eine große Enttäuschung im Bett war? Was hat mir (und denen) ihr toller Körper genutzt?
Richtig - gar nichts.
Das falscheste, was du machen
kannst, wenn du deinen Körper
lieben willst, ist, ständig
daran zu denken, wie schön
dein Körper ist.
Die einzigen Momente, wo ich echte Bodypositivity erlebt hatte, waren die Momente, in denen ich nicht mit dem AUSSEHEN, sondern mit dem SEIN beschäftigt war.
Das waren der Moment, als ich bei einem Kaffee in ein so spannendes Gespräch verwickelt war, dass der Kaffee komplett kalt wurde, weil ich vergessen hatte, zu trinken. Oder als ich jemanden wiedergesehen hatte, auf den ich mich schon lange gefreut habe. Der Moment, als ich erfuhr, dass ich einen Auftrag bekommen habe, den ich unbedingt wollte. Oder als ich mitten im Winter nach einem langen Flug aus dem Flugzeug stieg und plötzlich von lauwarmer Luft umgeben war.
Wenn man sich wohlfühlen und akzeptieren möchte, muss man aufhören, sich auf seinen Körper zu konzentrieren. In all den Momenten, die ich aufgezählt habe, vergaß ich mein Aussehen, weil ich was erlebte. Ich möchte mein Leben mit großen und kleinen Abenteuern füllen und mich mit Menschen umgeben, für die mein Verstand, meine Integrität und meine Hilfsbereitschaft an erster Stelle stehen - und nicht mein Körper.
Ja, hübsch auszusehen ist angenehm - aber echte Body Positivity erreicht man nur, wenn man sie vergisst.
18 Comments
Kristina
18. Juni 2017 at 09:03Ein wundervoller Text liebe Esra, dessen Inhalt ich voll und ganz zustimme. Diese Diskussion, dass man jeden Körper toll finden soll ist genauso wie der permanente Optimierungswahn verkrampft und unnatürlich. Oft finde ich die Menschen wirklich schön, die mich durch ihre starke Ausstrahlung und ihren Charakter umhauen…wie genau sie aussehen, sehe ich dann oft gar nicht mehr.
Liebe Grüße ♡Kristina
TheKontemporary
Esra Blog
18. Juni 2017 at 12:53Liebe Kristina, danke dir! Freut mich, dass du das genauso siehst <3
lg
Jacky
18. Juni 2017 at 15:26Moin,
ein sehr schöner Beitrag , der mich definitiv zum nachdenken angeregt hat.
Die Themen Body Shaming und Body Positivity beschäftigen mich zur Zeit auch stark und ich weiß noch nicht so richtig was ich davon halten soll.
Body Shaming ist ohne Zweifel etwas das ich für völlig unangebracht halte. Fanatischer Body Positivity stehe ich aber auch kritisch gegenüber, wenn es in die Richtung gleichgültigkeit seinem Körper gegenüber geht.
Anstatt sich über Gewicht und Konfektionsgrößen zu unterhalten, sollten Gesundheit und Wohlbefinden im Vordergrund stehen.
Liebe Grüße,
Jacky
Esra Blog
18. Juni 2017 at 19:22Liebe Jacky, danke für deinen Kommentar! Das mit der Gleichgültigkeit sehe ich nicht ganz so – ich habe bis jetzt tatsächlich noch niemanden erlebt, dem sein Körper egal wäre, selbst wenn man es behauptet. Sich selber anzunhemen ist was Tolles, aber ich denke eben, man sollte sich dabei eher nicht auf das Äußere konzentrieren – ist einfacher :)
lg
Karolina
18. Juni 2017 at 16:05Hi Esra,
danke für diesen tollen Artikel. Ich kann dem voll und ganz zustimmen. Leider ist es heutzutage so, dass man von der Gesellschaft oftmals nur aufs Äussere rezudiert wird und sich ständig dazu verpflichtet fühlt sich anpassen zu müssen. Gerade im Plus Size Bereich hat man das Gefühl sich ständig rechtfertigen zu müssen, was ich traurig finde. Ich nutze #bodypositivity im positiven Sinn, weil ich persönlich damit zeigen möchte, dass Frauen in größeren Größen auch hübsch sind und sich gut kleiden können. Das war auch der Grund dafür, warum ich meinen Fashion Blog gegründet habe. Ich möchte inspirieren und anderen „dicken“ (ich hasse das Wort) Frauen Mut machen, sich mehr zu trauen. Aber wir haben alle noch einen weiten Weg vor uns, denn es wird immer Worte oder Hashtags geben, die mit der Zeit einen Beigeschmack bekommen.
Hab einen schönen Sonntag!
Glg,
Karolina
https://kardiaserena.at
Esra Blog
18. Juni 2017 at 19:23Liebe Karolina,
klar, als Bloggerin kann ich meine eigenen Ratschläge kaum befolgen, weil wir Blogger uns ja auf das Äußere konzentrieren MÜSSEN – Fotos und Outfits und so :) Deswegen finde ich das gut, was du machst!! Man kann auf jeden Fall mega toll aussehen, auch wenn man keine Size Zero trägt, da brauchen wir nicht zu diskutieren :) <3
lg
Sassi
18. Juni 2017 at 17:40Ich liebe diesen Post! Ich habe zufällig ,ebenfalls heute, einen Post über Bodyshaming hochgeladen und werde deinen Post hier gleich mal verlinken :)
Auf jeden Fall kann ich dir nur zustimmen, denn Body Positivity ist genau wie Bodyshaming eine Reduktion auf unseren Body.. obwohl wir doch alle so viel mehr zu bieten haben.
So richtig toll ist beides erst, wenn es vergisst – genau richtig <3
Hab einen wundervollen Abend <3
Liebste Grüße
Sassi
P.S. Woher hast du bitte diesen unglaublich tollen Bikini /Badeanzug???
Esra Blog
18. Juni 2017 at 22:38Liebe Sassi, vielen Dank!! Deinen Post schau ich mir gleich an!
Was den Badenazug angeht: ich habe ihn auf einem Markt in Thailand gekauft, wenn ich einen ähnlichen finde, schreibe ich dir den Link in ein Kommentar hier <3
lg
Birgit
19. Juni 2017 at 09:07Hallo liebe Esra,
sehr schöne Gedanken und so wahr! Ich habe kurz überlegt und dann für mich festgestellt, dass es mir genauso erging. In den Momenten, in denen ich mich richtig und wahrhaftig gut gefühlt habe, habe ich keinen Gedanken an meinen Körper verschwendet. Die Gedanken waren an etwas Wichtigeres gebunden – das Erleben und das gute Gefühl!
Liebe Grüße
Birgit
Esra Blog
19. Juni 2017 at 11:06Liebe Birgit, ich danke dir <3
lg
Tanja
19. Juni 2017 at 09:34Ein mega schöner Post- Danke dafür! Ich werde dieses Jahr 40 und bin teilweise echt schockiert über Mädels die sich im total falschen Licht sehen . Für mich gilt das Motto jeder kann schön sein – Selbstliebe ist ein großes Thema – schick Dir liebe Grüße Tanja
http://www.tbfashionvictim.com
Leni
19. Juni 2017 at 11:35Ein toller Artikel liebe Esra, du triffst es damit genau auf den Punkt!
Natürlich ist es eine gute Sache, wenn man sich in seinem Körper wohlfühlen kann, weil jeder Körper schön ist. Aber seien wir doch mal ehrlich, viel wichtiger als der Körper ist doch, dass der Charakter stimmt. Schön sein kann jeder, einen schönen Charakter haben leider nicht. Den muss man sich nämlich viel härter erarbeiten, als fünf Mal die Woche ins Fitnessstudio zu rennen und Gewichte zu heben und nur Sport zu treiben.
Trotzdem lässt man sich natürlich etwas vom Aussehen blenden. Bei manchen Menschen denkt man erst: oh, der hat das dies und das, der sieht ja komisch aus. Wenn man sie jedoch näher kennenlernt tritt das in den Hintergrund, da wird auf das riesige Muttermal oder die doch etwas dickeren Oberschenkel gar nicht mehr geachtet, da geht es dann nur noch um den Menschen an sich.
Ich finds schön, dass du einen Gegenartikel zur Body Positivity geschrieben hast :)
Liebe Grüße,
Leni :)
http://www.sinnessuche.de
Brigitte
19. Juni 2017 at 18:00Sehr guter Artikel. Leider ist es einfacher gesagt als getan. Früher war ich ziemlich übergewichtig und habe unter meinem Aussehen gelitten. Da haben alle Versuche, mir meinen Körper schonzureden, ehrlicherweise nicht gefruchtet. Nachdem ich durch eine Ernährungsumstellung und Sport innerhalb knapp 2 Jahre 25 kg verloren habe, bin ich mit mir und meinem Körper im Reinen. Den Anspruch, perfekt zu sein, habe ich glücklicherweise nicht. Allerdings ist es eine Tatsache, dass man aufgrund seines Äusseren bewertet wird. Fremde Menschen begegnen mir heute ganz anders als damals, und das gilt für Männer als auch für Frauen.
Esra Blog
20. Juni 2017 at 00:11Liebe Brigitte, danke dir!
„Leichter gesagt, als getan“ trifft wohl auf alle meine Gedankenposts zu, hehe… Klar! Etwas verstehen heißt noch nicht, es sofort umsetzen zu können – aber besser, als nichts :) <3 Und Respekt für deine Disziplin! <3
lg
Sophie
20. Juni 2017 at 16:32Oh meine Liebe! Ganz toller Artikel. Ich finde das ist nicht nur ein topaktuelles Thema sondern auch super wichtig. Ich sage mir immer wieder, dass ich lernen muss glücklich mit mir zu sein, um das ganze auch nach Außen auszustrahlen. Ich glaube häufig hat man einfach ein ganz falsches Selbstbild und die anderen sehen einen als viel „schöner“ als man selbst. Irgendwie ist man ja auch einfach nie perfekt für sich und nicht die anderen sind das Problem. In dem Sinne finde ich Body Positivity schon enorm wichtig aber natürlich bei weitem nicht das wichtigste. Grade hier in Asien habe ich gelernt, wie wichtig es ist mit sich selber im reinen zu sein um auch mit seinen Mitmenschen korrekt umzugehen. An Tagen an denen das besser klappt stören mich die zugelegten Kilos auch plötzlich nicht mehr ;)
Liebste Grüße aus Taiwan,
Sophie || http://basicapparel.de
Esra Blog
20. Juni 2017 at 16:46Liebe Sophie, danke schön! Also ich meinte, genau aus dem Grund, dass ja auch die eigene Selbstwahrnehmung oft falsch oder gar gestört ist, bringt es oft nichts, sich auf seinen Körper zu konzentrieren. Leichter gesagt, als getan – aber trotzdem wohl DER Weg, auch wenn nicht populär :) Bin sehr gespannt, was du alles über Asien erzählen wirst <3
Kommst du jetzt zur Fashion Week??
lg
masha
23. Juni 2017 at 11:20super guter Artikel liebe Esra! Hat richtig Spass gemacht ihn zu lesen :)
Esra Blog
23. Juni 2017 at 13:41Danke vielmals, liebe Masha <3
lg