Es ist Nacht.
Ich liege im Bett. Links, rechts, unter und über mir sind andere Wohnungen, wo andere Menschen in ihren Betten liegen, schlafend oder schlaflos, in einem Haus, der in einer langen Häuserreihe steht, die Häuserreihe befindet sich in einer Strasse am Fluss, daneben andere Strassen, Plätze, Wege, ein Kiez, andere Stadtteile, Strassen und Wohnungen, alles voller Herzen, die unterschiedlich und doch gleich schlagen, und dieser Puls verschwimmt zum Herzschlag der Stadt und ist genauso wie an jedem anderen Ort, aber doch so anders.
Ich bin in Berlin.
Wie wenn ich den Namen eines Geliebten hören würde, durchströmt mich ein warmes Gefühl, wenn ich Berlins Strassennamen höre. Ich liebe sogar die Ansagen in der öffentlichen Verkehrsmitteln! Das „uiiiiiiiii“ der abfahrenden S-Bahn beinhaltet die Bahnhofsstimmung einer Grossstadt, beständig in ihrer Rastlosigkeit, es ist ein majestätischer Klang voller Sehnsucht nach Bewegung, nach Neuem, nach Veränderung. Diesmal ist es anders, hier zu sein – die Zeit dehnt sich, drei Tage sind wie zwei Wochen – unlogische Gleichung des Verliebtseins.
Selbst in chronischem Über-Rot-Gehen äussert sich, dass die Stadt keine Dogmen zu mögen scheint. Kinder? Vorbild? Wenn die Strasse leer ist, kann man einfach rübergehen… Die Menschen hier sind lockerer, entspannter und somit freundlicher, als ich es kenne. Und wenn mir mal die berüchtigte Grossschnauzigkeit begegnet – kommt sie vielmehr ehrlich rüber, während man in einer Stadt nahe der Alpen das Gesicht zu einer Lächelgrimasse verzieht, indes sich unter der Schädeldecke doppelt fiese Gedanken formen.
Kann man eine Stadt anprobieren, wie ein Paar Schuhe?
Ich weiß es nicht, aber das ist wohl das, was ich gerade hier mache. Eigentlich ist es eine unglaubliche (weil nur selten mögliche) Erfahrung, ohne die typische Ablenkung, die man im Urlaub hat, dennoch die Routine hinter sich zu lassen. Mein Alltag geht hier weiter, aber auf eine andere Art und Weise. Es ist, als würde ich mich zum ersten Mal seit Jahren vom eigenen Leben entfernt haben und fange langsam an, es aus der Distanz zu betrachten, was einerseits befreiend, aber andererseits auch befremdlich sein kann…
Ankommen, loslassen, einleben, eine neue Routine entwickeln, Wege erforschen, mit sich selbst auskommen, Gedanken kreisen lassen. Ja, mein Alltag würde nochmal etwas anders aussehen, wenn ich tatsächlich hier wohnen würde – und trotzdem fühlt es sich diesmal mehr wie „wohnen“ an, als die Besuche bisher.
Mal abwarten – wird meine rosarote Brille sich entfärben oder gar zu einer Lupe werden, mit der ich diese Stadt kritisch betrachten kann? Wird meine Liebe diesmal schwächer, wenn ich mich daran gewöhne, hier zu sein? Ist es wirklich die Sehnsucht nach dieser Stadt, die mich antreibt – oder in Wirklichkeit einfach nach einem anderen Leben? Vielleicht werde ich das alles nach diesen 28 Tagen in Berlin wissen, ein Prüfstein namens Geburtstag ist auch inklusive…
Du passt so gut nach Berlin
Diesen Satz höre ich ständig, wenn ich mich mit Leuten über Berlin unterhalte, und jedesmal hört sich das wie ein Kompliment an. Aber was heißt es denn eigentlich, irgendwo „hinzupassen“? Gerade für so einen Menschen wie ich, der keine „richtige“ nationale Identität hat? Das Einzige, was ich weiß, ist: mich zieht es hierher… Damit habe ich euch schon zu genüge genervt und es ist „kein Ende in Sicht“ …
Ich kenne Berlin
Berlin kennen? Schwieriges Unterfangen! Wenn jemand von den „Neu-Berlinern“ mal wieder behauptet, Berlin zu kennen, wie seine Westentasche, rollen die „richtigen“ Berliner die Augen. Denn sogar sie selber überschauen meistens nicht die ganze riesige Stadt, sondern bestimmte Bezirke, in denen sie sich alltagsbedingt bewegen. Ich kenne Berlin nicht. Ich atme Berliner Luft, die manchmal alles andere als romantisch duftet, aber es fühlt sich so an, als wäre hier einfach mehr davon. Mehr Luft, mehr Freiheit, mehr Raum und mehr Kreativität. Langsam kristallisiert sich für mich heraus, dass ich per Zufall? Schicksal? wohl von Anfang an in ein Stadtviertel kam, was auch am besten zu mir passt – Friedrichshain erweckt einen liberalen und alternativen Eindruck und ist voller Leben.
Berlin, du geschichtsträchtige, lebendige, farbenfrohe Stadt mit so vielen Gesichtern, so vielen Geschichten und so vielen Hoffnungen, du verbindest die Hässlichkeit und die Schönheit auf eine einzigartige Art und Weise miteinander. Oh, Berlin, you have my heart!