Leben thoughts

thoughts: Ansprüche, Vorwürfe und Erwartungen

„Der Partner muss der beste Freund, Lover, Bruder und Vater in einem sein“ –

– am besten vielleicht auch noch Mutter, Cousine zweiten Grades, Kino und Supermarkt??

Oder: „Die beste Freundin muss einen wortlos verstehen“. Wortlos?? Und wozu hat man einen Mund und Stimmbänder?

Oder ist das so, dass du nur dann was von deinen Mitmenschen hältst und dich mit ihnen abgibst, wenn sie haargenau die gleichen Moralvorstellungen haben, wie du? Und wenn du was für sie tust, genau im gleichen Maße dankbar reagieren, wie du das erwartest? Sie müssen sich für die Themen interessieren, die dir das Leben bedeuten und Äpfel genauso schälen, wie du es immer tust? Und sie müssen dir von sich aus immer ihre Hilfe anbieten, weil du das ja auch so machst? Am besten erwarten sie auch noch das Gleiche vom Leben, haben die gleiche/keine Religion wie du, lassen den Klodeckel immer auf/zu wie du und kaufen Lebensmittel nach dem gleichen System ein, wie du?  Ach, das ist doch ein Klacks, mit diesen Ansprüchen Freunde und Lebenspartner zu finden. Der Geheimtipp lautet: lass dich doch einfach klonen!! 

Spaß beiseite:

ich weiß, dass wenn man älter wird, man sich im Hintergrund aufgrund seiner Erfahrungen ein System zusammenschustert, wie die Mitmenschen zu funktionieren haben, damit man sie an sich ranlässt oder sie wertschätzt. Aber dieses System soll nicht mehr als die Hälfte des Raumes in einem einnehmen. Die andere Hälfte soll frei bleiben, um die Menschen um sich herum erkennen zu können, die auf den ersten Blick vielleicht nicht unseren Ansprüchen genügen – denn – ÜBERRASCHUUUUNG – niemand ist perfekt!

Ich kann den Ansprüchen meiner Freunde nicht genügen.

Mein Problem ist im übrigen nicht, dass ich zu hohe Ansprüche habe – sondern ich stehe momentan auf der anderen Seite, ich bin nämlich plötzlich selbst diejenige, die den zu hohen Ansprüchen anderer nicht standhalten kann. Denn ich persönlich erwarte kaum noch was von meinen Mitmenschen – aber dafür sie umso mehr von mir!! Wie konnte das nur passieren? Darüber habe ich nachgedacht und bin zum Schluss gekommen, dass genau meine niedrigen Erwartungen an andere ihnen erst ermöglichen, an mir grenzenlos rumzunörgeln. Klingt widersprüchlich, ist es aber nicht – lasst mich erklären!

 

Ansprüche gering halten – der Weg zur Glückseligkeit?

„Wer nichts erwartet, kann auch nicht enttäuscht werden“ –

das war jahrelang mein Motto in privaten, zwischenmenschlichen Beziehungen. Ist ja auch logisch – je größer meine Ansprüche an meine Mitmenschen sind, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass sie erfüllt werden. 

Ich war stolz auf meine neue Ambitionslosigkeit, denn ich wurde quasi „unenttäuschbar“ – dafür war ich jedesmal positiv überrascht, wenn die Mitmenschen etwas Gutes für mich taten.

Diese „Unenttäuschbarkeit“ macht süchtig, und um sie aufrechtzuerhalten, fängt man an, über Probleme hinwegzusehen – so wird aus Akzeptanz langsam Verdrängung, und aus geringer Erwartungshaltung wird eine waschechte Konflikt-Vermeidungsstrategie.

Die Schattenseite von „Nichts erwarten“ ist nämlich: man stellt die eigenen Ansprüche in so einem Maße hintan, dass man den Ansprüchen anderer umso mehr ausgeliefert ist. Die anderen merken: du bist sehr zurückhaltend und setzt niemanden unter Druck, du lässt die Menschen so sein, wie sie sind und bist mit allem zufrieden, und fangen an, die Hemmungen zu verlieren und sich zu entfalten, bis für dich selber kein Raum mehr übrig bleibt. Das ist dem Menschen einfach angeboren: er nimmt alles, was er bekommen kann. Bekommt er viel Raum von dir, bleibt er nicht einfach nur fröhlich und zufrieden in diesem Raum, sondern fängt auch noch (meist unbewusst) an, dich in die Ecke zu drängen.

Somit wären wir beim Thema: Grenzen setzen. 

Grenzen setzen als „netter“ Mensch

Ich habe ein übersteigertes Harmoniebedürfnis, das auf respektvollen Umgang mit anderen Menschen trifft – die Folge ist: ich lasse andere Menschen oft meine Grenzen überschreiten, weil ich meinen Mund nicht aufbekomme. Und das gilt übrigens NICHT für die geschäftlichen Beziehungen!! Dort habe ich nämlich schon lernen dürfen, wie man „nein“ sagt und warum man das unbedingt tun sollte!

Im Privaten habe ich viel mehr Bedenken oder schlichtweg Angst, mit meiner Gegenwehr für Unmut zu sorgen – zugegebenermaßen oft auch berechtigt. Wenn mir jemand etwas vorwirft, ist meine erste Reaktion – „Da ist bestimmt was dran“. Zweite Reaktion sollte aber sein, mich zu wehren, falls der Vorwurf übertrieben oder haltlos war. Stattdessen verliere ich mich in Selbstkritik und Zweifeln an meinem Verhalten, auch wenn mein Gefühl was anderes sagt.

Da müssen wir alle noch den goldenen Mittelweg erlernen – wie wehre ich mich gegen etwas, was mir zu weit geht, ohne der anderen Person zu nahe zu treten und ohne ihre Kritik komplett zu missachten? Wie erkläre ich den Menschen diplomatisch, dass ich ihren Ansprüchen nicht standhalten kann oder will?

Stoff für den nächsten Gedankenpost, würde ich sagen! Auf ein Neues! :)

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10 Comments

  • Reply
    Fashionqueens Diary
    14. Mai 2017 at 10:08

    Deine Gedanken regen durchaus selbst zum Nachdenken an. Von vielen Menschen erwarte ich auch nichts mehr, lasse mich dann aber ebenfalls gern überraschen. Ob das letztendlich für einen selbst so gut ist… Da muss ich mal noch genauer drüber nachdenken :)

    • Reply
      Esra Blog
      14. Mai 2017 at 21:40

      Hi Liebes, danke dir! Ich bin ja mit „Nichts erwarten“ eine Zeitlang auch ganz gut gefahren… Aber nun hat sich das verändert und ich muss wohl wieder mehr erwarten haha :D
      lg

  • Reply
    Anni
    14. Mai 2017 at 17:47

    Hallo Esra,
    spannendes Thema, über das du da schreibst. Ich bin auch relativ anspruchslos, gerate aber immer wieder in die Situation, dass wenn ich dann Grenzen aufzeige oder in Freundschaften auch mal Bedürfnisse äußere, extremes Unverständnis aufkommt oder ich ganz fallen gelassen werde. Vor einigen Tagen kam mir auch der Gedanke, dass ich mir vielleicht mit dieser Art nicht immer selbst etwas gutes tue… Danke für den Denkanstoß!

    • Reply
      Esra Blog
      14. Mai 2017 at 21:39

      Liebe Anni, das ist ja krass! Das kann ich aber so nicht beurteilen, warum das bei dir so läuft… Vielleicht duldest du Sachen zu lang, so dass die Kritik bei den Anderen als plötzlich wahrgenommen wird? Mit sowas können nur wenige umgehen…
      lg

  • Reply
    Was macht Heli?
    14. Mai 2017 at 21:05

    Der Post bietet viel Stoff zum Nachdenken. Grenzen setzen ist schon wichtig. Ich denke, man kann das auch hinbekommen ohne gleich dem anderen auf die Füße zu treten.
    Wenn ich so überlege, ist es mir bisher ein einziges Mal passiert, dass mich jemand so emotional ausgesaugt hat, dass ich mich von der Person ablösen musste. Das war auch das einzige Mal, dass ich einfach keine Wahl hatte, als klar und deutlich eine Grenze zu setzen. Es gab einfach eine zu große Disbalance in der Freundschaft.

    • Reply
      Esra Blog
      14. Mai 2017 at 21:38

      Liebe Heli,
      danke schön! Ja, man kann sicherlich auch Grenzen setzen, ohne dass es gleich Stress gibt – aber man muss sich einfach erst dazu überwinden, als harmoniesüchtiger Mensch :)
      lg

  • Reply
    T.
    16. Mai 2017 at 00:16

    Interessanter Post, ich erkenne mich zum Teil auch wieder. Manchmal bin ich schon ein bischen enttäuscht, weil Freunde/ Partner/ Eltern sich nicht so verhalten, wie ich es gerne hätte. Und andere Male bin ich dann wieder genervt, weil jemand umgekehrt von mir erwartet, dass ich bestimmte Dinge tue oder Ansichten teile.
    Aber vielleicht machen wir uns da manchmal auch zu viel Stress, weil wir nur DENKEN, die anderen würden ein bestimmtes Verhalten von uns erwarten.
    LG

    • Reply
      Esra Blog
      16. Mai 2017 at 00:30

      Vielen Dank für deine Gedanken! Das stimmt, man ist natürlich gleichzeitig derjenige, der erwartet, und derjenige, von der was erwartet wird :)
      In meinem Fall DACHTE ich nicht nur, von mir würde was erwartet, sondern wurde immer wieder mit Vorwürfen konfrontiert, bis ich entschieden habe, übertriebene Vorwürfe nicht mehr zuzulassen – so ist dieser Post entstanden :)
      lg

  • Reply
    Jana Kalea
    16. Mai 2017 at 01:55

    Vielen Dank für diesen tollen Text! Ich habe mich gerade 100% wiedergefunden. Auch ich habe lange Zeit meine Erwartungen an Menschen komplett heruntergefahren und mich über jede kleine „gute Tat“ gefreut. Mit dem Ergebnis, dass ich mich auf die wenigsten Menschen in irgendeiner Art und Weise verlassen konnte, aber alle ständig Erwartungen an mich hatten, die ich weder erfüllen wollte, noch konnte. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr und habe ‚auf den Tisch gehauen‘ und meine Meinung gesagt. Einige Freunde habe ich dadurch verloren. Aber viele kommen mir seitdem auch viel mehr entgegen. :)
    Natürlich muss man einen entspannten Mittelweg finden, aber ich glaube gerade als sensibler Mensch tendiert man eher dahin, zu wenig Ansprüche zu haben bzw. Grenzen zu setzen.

    Liebe Grüße
    Jana

    • Reply
      Esra Blog
      16. Mai 2017 at 11:43

      Liebe Jana, das tut echt gut zu lesen, dass es jemandem genauso geht! Ich bin gespannt, was die Entwicklung bei mir so mit sich bringen wird :) Und wünsche uns beiden viel Glück !
      lg

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