Ich lüge nie,
denn Lügen fühlt sich für mich an, wie ein paar zu enge Schuhe. Es drückt und mir ist einfach unwohl. Was ich allerdings ab und zu tue – ich verschweige etwas. Aber ist Verschweigen denn im Grunde nicht einfach eine andere Form von Lügen?
Ich würde das so definieren: Lügen bedeutet, vorsätzlich eine falsche Information rauszugeben, die nicht der tatsächlichen Gegebenheit entspricht (die kleine Schwester davon heißt „Notlüge„). Verschweigen bedeutet dagegen, diese tatsächliche Gegebenheit einfach erst gar nicht anzusprechen oder dieses Ansprechen rauszuzögern. Wenn man gescheit darüber nachdenkt, steht Verschweigen dem Lügen in nichts nach, auch wenn es auf den ersten Blick harmloser erscheint. Beides kann einen gewaltigen Vertrauensbruch bedeuten. Allerdings kommt es natürlich auf den Gegenstand des Verschweigens an: dass du deinem Freund beispielsweise nicht ständig ehrlich erzählst, dass du ein Kilo zugenommen hast und dich jetzt fett und hässlich fühlst, ist sogar förderlich.
Ich werfe normalerweise nicht mit Menschen um mich,
schon gar nicht mit guten Freunden – aber ich hatte tatsächlich schon mal unter einer Freundschaft den Schlussstrich gezogen, weil ich angelogen wurde. In einer für mich schwierigen Situation, wo ich Unterstützung gebraucht hätte, hat eine sehr gute Freundin (nennen wir sie F.) damals über mich hergezogen, ohne mich ins Gesicht kritisiert zu haben. Ich erfuhr davon von meinem besten Freund und sprach F. darauf an. Erst weigerte sie sich komplett, über das Thema zu sprechen und blockte ab. Als sie merkte, wie wichtig mir das war, willigte sie irgendwann ein, aber stritt alles ab. Daraufhin eskalierte die Situation, F. warf mir vor, dass ich ihr etwas vorwarf – aber alles, wonach ich suchte, war einfach nur ein Zugeben und eine Entschuldigung, denn nachtragend bin ich nicht. Aber wenn jemand lügt und ohne Einsicht bei der Lüge bleibt, ist es für mich vorbei mit der Freundschaft.
Warum lügen Menschen?
Ganz klar – die Ursache Nummer eins ist die Angst. Angst um die eigene Position, Angst, den Partner zu verlieren, Angst, einen Vorteil zu verpassen. Ich würde es „die passive Lüge“ nennen. Die „aktive Lüge“ wäre, wenn Menschen nicht aus Angst, sondern vorsätzlich lügen, um andere Menschen zu indoktrinieren und zu manipulieren – und dazu gehört übrigens ganz massiv auch die Werbe-Branche.
Ich werde fürs Lügen bezahlt!
Eine liebe PR-Dame hat neulich gemeint – „Ich sage immer: ich werde fürs Lügen bezahlt!“ und ich musste sehr herzhaft lachen, denn die erfrischende Ehrlichkeit, mit der diese Aussage getätigt wurde, zeugt in diesem einen Ausnahmefall höchstens vom Sinn für Humor: jemand, der tatsächlich beruflich lügt, gibt es logischerweise nur selten freiwillig zu. Die andere, traurige Seite dieser Aussage ist: all die anderen, die nicht im Traum daran denken würden, es zuzugeben – tun es wirklich! Sie lügen, um in diesen Beruf überhaupt reinzukommen, sie lügen, um sich dort zu halten und sie lügen, um erfolgreich zu werden. Gerade jetzt, während der Pressdays, erlebe ich Lügen in allen Regenbogenfarben und Abstufungen.
Aus Mücken Elefanten erschaffen
Es gibt Menschen da draußen, die behaupten, dass ich deswegen so viele Lügen mitbekomme, weil ich mir alles einbilde und aus Mücken Elefanten erschaffe. In Wirklichkeit ist es so: Lügen zu ignorieren oder gar nicht erst mitzukommen, ist eine gute Strategie, sein eigenes Ding durchzuziehen, denn auf diese Weise lässt man sich nicht irritieren oder ablenken. Was soll ich sagen, alles hat seine Vor- und Nachteile! Lügner zu enttarnen und sich darüber zu ärgern ist bestimmt nicht förderlich für die Karriere, dafür lässt man sich weder verarschen, noch verarscht man andere. Idealismus kann nur selten faktisch begründet werden, deswegen heißt er ja „Idealismus“. Es ist eine Erziehungssache und eine Lebenseinstellung, und wenn andere in zu engen Schuhen rumlaufen wollen – bitte sehr! Ich verzichte lieber auf die Blasen und ziehe mir nur den Schuh an, der auch wirklich passt.
I like the way you lie
Dieser Songtext hat mich immer verblüfft, denn ich kann ihn zwar theoretisch verstehen, aber nicht nachvollziehen. Ich möchte nicht belogen werden, auch nicht auf die schöne Art und Weise!! Klar möchte ich angenehme Komplimente und Liebesbekundungen hören, aber eben nur die, die wirklich stimmen. Sonst hat es doch keinen reellen Wert!
Aber eins ist logisch: wer mit der Wahrheit nicht umgehen kann, sucht danach, belogen zu werden. Deswegen: willst du nicht belogen werden, nimm nicht alles persönlich und reagiere angemessen, wenn man dir die Wahrheit sagt, auch wenn sie unangenehm ist. Denn zum Lügen gehören immer zwei dazu!
8 Comments
Fashionqueens Diary
30. April 2017 at 08:05Ein toller Beitrag! Ich sehe es aber auch so: Zum Lügen gehören immer zwei, denn es muss ja einen Grund geben, warum man genau diese eine Person belügt. Dass es nicht richtig ist, darüber muss man wohl nicht sprechen, aber manchen scheint es einfach damit besser zu gehen, wenn sie sich ihre Welt „schön lügen“ können…
Esra Blog
30. April 2017 at 17:06Liebe Sonja, danke dir! Genau das meinte ich! :)
lg
Lisa
30. April 2017 at 10:22Liebe Esra,
ich kann das gut nachvollziehen, dass nach so einer Altion die Freundschaft weiterzuführen wenig Sinn macht. Ohne Vertrauen fehlt ja die komplette Grundlage.
Gerade diese Woche hatte ich eine Situation auf der Arbeit, wo sich herausstellte, dass ich einen sehr blöden Fehler gemacht hab unter dem eine Patientin leiden musste (also nicht ihre Gesundheit, ihr Leben war nicht bedroht – es ging um Sozialleistungen). Ich war auch sehr hin und her gerissen, ob ich den Fehler einfach verschweige aber ich habe es am Ende doch gestanden. Im Endeffekt bin ich froh, dass ich zu dem Fehler stand.
Alles Liebe,
Lisa
Esra Blog
30. April 2017 at 17:04Liebe Lisa, ich finde, zu den Fehlern zu stehen zeugt von wahrer Stärke! Wäre eigentlich auch ein schönes Thema für einen Post <3
lg
Charli
1. Mai 2017 at 14:27Ein sehr schöner Post, liebe Esra!
Ich finde Lügen auch absolut furchtbar, aber manchmal kommt man in Situationen, bei denen man dann eben lieber schweigt und gar nichts sagt.
Ich habe zum Beispiel mit meiner Freundin eine Projektarbeit für die Schule machen müssen. Nachdem ich schon alles selbst ausgearbeitet habe, hat sie sich nicht mal die Mühe gemacht, den Text für „unsere“ PowerPoint Präsentation zu lernen. So haben wir am Ende die schlechtere Note erhalten. Ihr reichte das, da sie nicht ganz so zielstrebig ist. Ich hätte für meine Mühe natürlich gern die bestmögliche Note bekommen. Klingt jetzt nach Streber, aber wenn man viele Nachmittage mit einem Projekt zubringt, möchte man am Ende natürlich auch belohnt werden. ;) Als die Lehrerin fragte, ob wir die Ausarbeitung tatsächlich zusammen erarbeitet haben, hat meine Freundin natürlich nicht die Wahrheit gesagt. Naja, und ich eben auch nicht. Inzwischen mache ich einfach keine Projekte mehr mit ihr, aber geärgert hat es mich damals schon enorm. Doch wenn ich die Wahrheit gesagt hätte, wäre ich mir wie eine Petze vorgekommen. Jetzt vermeide ich solche Situationen einfach.
Und wenn man sich Insta&co. so ansieht, scheint Lügen oder irgendetwas vorgaukeln ja auch ganz normal geworden zu sein. Das sehe ich nicht nur in der Werbebranche so, sondern eigentlich überall. Politik, Schule, überall entdecke ich dies. Lügen begegnen uns wahrscheinlich mehr als Wahrheit.
Aber bei ganz wichtigen Dingen und Menschen, finde ich, ist Lügen keine Option und erwarte das dann von ihnen auch so. Meine Eltern leben mir dies auch so vor und deshalb hoffe ich, dass ich mir meine Ehrlichkeit erhalten kann.
So, jetzt wünsche ich dir noch einen schönen Tag (ohne Lügen).
LG Charli
Esra Blog
1. Mai 2017 at 14:45Liebe Charli, das sehe ich genauso! Manchmal hält man lieber die Klappe, hihi :D Über diese Sondersituationen könnte ich aber einen kompletten Blogpost schreiben, das ist immer das Problem bei solchen Themen, wenn man sie wirklich gebührend behandeln würde, würden sie komplett den Rahmen sprengen. Aber danke dir für den Denkanstoß! :) <3
lg
Em
1. Mai 2017 at 14:28Meiner Meinung nach ist das Verschweigen die Baby-Schwester des Lügens. Stell dir mal vor, du kommst in eine neue Stadt und hast einen neuen Job. Dort erzählst du nicht sofort, dass du schwul-lesbisch bist, da es sehr schnell sehr unangenehm werden kann – wenn nicht sogar gefährlich. Auf die Frage: Hast du einen Freund/eine Freundin? Antwortest du mit Nein, denn du bist ja Single (oder mit Ja, ich bin in einer Beziehung). Du lügst nicht, du verbesserst aber auch niemanden mit den richtigen Umständen. Sie denken von dir, was sie sich zurecht legen und solange du Single bist, wird keine weitere Person mit einbezogen. Und wenn es doch so ist, ist es eine Sache zwischen dir und deiner besseren Hälfte.
Liebe Grüße
Em
Esra Blog
1. Mai 2017 at 14:46Liebe Em, du hast absolut recht! Manchmal ist Verschweigen sogar ganz notwendig und sinnvoll! Leider! Denn unsere Welt WILL eben auch belogen werden…
lg